Theorie für die Praxis

Hier gibt euch Flavia aus ihrem Studium zur Schulischen Heilpädagogin theoretische Ansätze für die Praxis weiter.




Arbeitsmittel und Veranschaulichungen im Fach Mathematik

Arbeitsmittel und Veranschaulichungen setzen wir im Unterricht immer wieder und in vielen unterschiedlichen Situationen ein. So auch im Fach Mathematik. Da verwenden wir beispielsweise das Zwanzigerfeld, den Rechenstrich, die Hundertertafel, den Abaco, den Rechenrahmen, etc. Wie sinnvoll ist dessen Einsatz aber wirklich und wo bzw. wann ist vielleicht sogar Vorsicht geboten?

 

Zu Beginn lohnt sich eine Begriffsklärung:

- Arbeitsmittel sind Hilfsmittel, die zum Rechnen eingesetzt werden können - z.B. Wendeplättchen, Muggelsteine, Dienes-Material und Rechenrahmen.

- Veranschaulichungen dagegen sind beispielsweise der Rechenstrich, das Hunderterpunktefeld, die Einspluseinstafel oder die Stellentafel (vgl. Scherer/Moser Opitz 2010).

Allerdings ist diese Einteilung nicht trennscharf, da auch Veranschaulichungen wie die Stellentafel je nach Kontext als Arbeitsmittel verwendet werden kann. Scherer/Moser Opitz (2010) sind sich aber einig, dass sowohl Arbeitsmittel wie auch Veranschaulichungen verschiedene Strukturierungsgrade aufweisen, sowie mehreren Zwecken dienen können:

 

- Zur Darstellung von Zahlen

- Als Mittel zum Rechnen

- Zur Veranschaulichung von Rechenoperationen

- Als Beweis- und Argumentationsmittel

 

Grundsätzlich lässt sich auch sagen, dass Arbeitsmittel und Veranschaulichungen im Unterricht dazu verwendet werden, um Sachen für die SuS "einfacher" zu machen. Genau an diesem Punkt ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten. So muss nämlich berücksichtigt werden, dass Arbeitsmittel und Veranschaulichungen oft nicht selbsterklärend sind, sondern einen zusätzlichen Lernstoff darstellen. "Das bedeutet, dass für diesen Lernprozess Zeit eingeplant werden muss und die Arbeitsmittel und Veranschaulichungen selber zum Lerngegenstand gemacht werden sollen" (Scherer/Moser Opitz 2010 in Anlehnung an Schipper 1996). Für uns Lehrpersonen heisst das also, dass wir Arbeitsmittel und Veranschaulichungen wie das Zwanzigerfeld, den Rechenstrich oder die Einmaleinstafel nicht einfach von heute auf morgen einsetzen sollten, ohne dass für die Kinder eine intensive  Auseinandersetzung damit stattgefunden hat. 

Aber auch schon bei der Auswahl von Arbeitsmitteln und Veranschaulichungen ist Vorsicht geboten. So muss bei der Wahl gut überlegt werden, welches arithmetische Konzept das Arbeitsmittel oder die Veranschaulichung unterstützen soll und welche Aktivitäten sich damit sinnvoll ausführen lassen. Berücksichtigt man diese Aspekte, so ist nicht jedes Arbeitsmittel für jede Operation gleich geeignet. Es ist aber dennoch von Vorteil, wenn man die Anzahl der Arbeitsmittel und Veranschaulichungen auf wenige beschränkt und möglichst strukturgleiche Mittel verwendet werden (z.B. die Zwanziger- und Hunderterreihe, das Zwanziger-, Hunderter- und Tausenderfeld, etc.) (vgl. Scherer/Moser Opitz 2010).

Mit der Verwendung von Arbeitsmitteln und Veranschaulichungen sollte gleichzeitig auch bereits die Ablösung davon im Auge behalten und darauf hingearbeitet werden. Dabei hilft konkret die sprachliche Begleitung von Arbeitsmitteln. Beim Beschreiben dessen, was gerade getan wird oder wurde, erfolgt nämlich ein erster Schritt in Richtung Abstraktion. Diese "Übersetzungsprozesse" sollten auf möglichst allen Repräsentationsebenen (Handlung, Bild, Symbol) geschehen. So können Handlungen in Verbindung mit der symbolischen Darstellung und der sprachlichen Begleitung dessen für den Aufbau von Vorstellungen entscheidend helfen (vgl. Scherer/Moser Opitz 2010).

 

Zum Schluss erlauben wir uns, ein paar der gängigen Arbeitsmitteln und Veranschaulichungen mit Hilfe von Scherer/Moser Opitz (2010) etwas genauer unter die Lupe zu nehmen:

- Zwanzigerfeld: "Zahlauffassung und Darstellung bzw. zählendes Rechnen und die quasi-simultane Zahlauffassung sind möglich, letztere unterstützt die Ablösung vom zählenden Rechnen. Das Feld eignet sich zudem gut zur Anwendung eigener Lösungswege und operativer Strategien. (…) Auch die Kriterien der strukturgleichen Fortsetzung in den erweiterten Zahlenraum (Hunderterfeld) und des passenden Demonstrationsmaterials sind erfüllt" (Scherer/Moser Opitz 2010, 88-89).

- Rechenrahmen und Abaco: Eine klare Fünfer- und Zehnerstruktur und die damit verbundene zählende Zahlauffassung und -Darstellung sowie auch die quasi-simultane Zahlauffassung bis 20 ist gegeben. Es gibt von beiden Arbeitsmitteln eine strukturgleiche Fortsetzung für den 100er-Raum und ist für die SuS leicht handhabbar. Bei den operativen Strategien sowie den eigenen Lösungswegen ergeben sich allerdings durch die feste Farbgebung der Kugeln deutliche Einschränkungen. Auch die Anzahlerfassung ist dadurch erschwert (vgl. Scherer/Moser Opitz 2010).

- Zahlenstrahl: Er eignet sich für die Vorstellung des Zahlenraums sowie die Erarbeitung verschiedener Zahlbeziehungen. Dies beispielsweise beim Ablesen und Einordnen von Zahlen, beim Darstellen von dezimalen Grössenbeziehungen, beim Zählen in Schritten und beim Bestimmen der Nachbarzehner oder -hunderter oder auch als Instrument zum Messen von Längen. Zum Rechnen ist dieses Hilfsmittel aber weniger geeignet. So ist nämlich die simultane bzw. quasi-simultane Zahlauffassung und -darstellung nur sehr eingeschränkt möglich und die Markierungsstriche können zum Abzählen verleiten. Auch individuelle Lösungswege sowie operative Rechenstrategien lässt der Zahlenstrahl nur eingeschränkt zu (vgl. Scherer/Moser Opitz 2010).

 

Quelle:

Scherer, P./Moser Opitz, E.: Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Heidelberg 2010



Sind Finger erlaubt?

Diese Frage stellen sich Eltern, Lehrpersonen und wohl auch Schülerinnen und Schüler (SuS) immer wieder. Nachfolgend möchten wir euch aufzeigen, wann und wie der Einsatz der Finger tatsächlich Sinn macht und wo Vorsicht geboten ist.

 

Grundsätzlich unterscheidet man bei der Fingernutzung zwei Varianten (vgl. Scherer/Moser Opitz 2019). Die eine Variante ist die dynamische Fingerverwendung, bei welcher die Finger nacheinander einzeln ausgestreckt und damit gezählt werden. Bei der statischen Fingerverwendung dagegen, werden mehrere Finger auf einmal ausgestreckt, so dass das Ergebnis auf einen Blick „abgelesen“ werden kann.

 

Welche der beiden Varianten ist aber die bessere bzw. sinnvollere?

Ein wesentliches Ziel des mathematischen Anfangsunterrichts ist es, dass sich die Kinder von Zählstrategien lösen und stattdessen operative Strategien nutzen können (vgl. Radatz et al. 1996). Es liegt also sinnbildlich auf der Hand, dass die dynamische Fingerverwendung dazu nicht das geeignete Mittel sein kann, weil sie zum Zählen verleitet. Der statische Gebrauch dagegen fördert durch das Aufstrecken mehrerer Finger gleichzeitig, das kardinale Zahlverständnis und leistet damit einen wichtigen Beitrag „zur Verinnerlichung wichtiger Kenntnisse auf dem Weg zur Erarbeitung operativer Rechenstrategien.“ (Walter 2015, S.28). Das bedeutet also, dass der statische Fingergebrauch dem dynamischen auf jeden Fall vorzuziehen ist. Wichtig dabei ist aber, dass die statische Verwendung der Finger mit den SuS regelmässig geübt werden soll und muss und nicht davon ausgegangen werden kann, dass die SuS dies von alleine lernen werden.

 

Soll die Verwendung der Finger als Arbeitsmittel im Unterricht explizit genutzt werden?

Grundsätzlich lässt sich mal feststellen, dass Finger ein mögliches Arbeitsmittel sind, welches aber bei näherer Betrachtung nicht als einziges genutzt werden soll. Um dies zu verdeutlichen, listen wir einige Vor- bzw. Nachteile der Finger als Arbeitsmittel auf (vgl. Walter 2015)

Vorteile:    Die Struktur des Arbeitsmittels „Finger“ muss von den Kindern nicht neu erlernt werden. Die meisten SuS wissen zu Beginn

                  der 1.Klasse, dass sie an einer Hand fünf und damit an zwei Händen zehn Finger haben.

                  Das Arbeitsmittel „Finger“ haben die SuS stets bei sich.

Nachteile: Die Finger sind als Arbeitsmittel in ihrer Fortsetzbarkeit sehr eingeschränkt. Einige Rechnungen (z.B.: 6+3) lassen sich aus

                  motorischer Sicht nur sehr schwer darstellen, weil der Ringfinger in seiner Beweglichkeit eingeschränkt ist.

 

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die statische Verwendung der Finger durchaus Sinn machen kann. Sie sollen aber nicht das alleinig genutzte Arbeitsmittel sein und müssen in der Anwendung geübt und begleitet werden.

 

Ps: Wer übrigens gedacht hat, dass ein Verbot der dynamischen Fingerverwendung ein Mittel gegen zählendes Rechnen ist, den müssen wir leider endtäuschen. Dürfen nämlich SuS die zählende RechnerInnen sind ihre Finger nicht mehr brauchen, so werden sie auf andere Varianten zurückgreifen, sie sie dabei unterstützen. Vielmehr muss und soll auch hier der statische Gebrauch eingeführt und gefördert werden (vgl. Walter 2015).

 

Quellen:

Walter, D.: Sind Finger erlaubt? In Grundschulunterricht 3, S. 28 - 32. Oldenbourg 2015

Scherer, P./Moser Opitz, E.: Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Heidelberg 2010

Radatz, H./Schipper, W./Dröge, R./Ebeling, A.: Handbuch für den Mathematikunterricht an Grundschulen 1. Schuljahr. Hannover 1996



Das Zahl-Grössen-Verknüpfungsmodell nach Krajevski oder warum Zählen so wichtig ist.

Das Zahlen- und Zählenlernen ist eines der zentralsten Elemente im 1. Zyklus (KG-2.Kl.) der Schule. Die Kinder festigen, systematisieren und bauen in dieser wichtigen Phase den Zahlbegriff aus. Dabei nimmt das Zählen eine der bedeutendsten Rollen ein und muss damit besondere Beachtung geschenkt werden. Kommen die Kinder in die 1. Klasse, so haben einige von ihnen bereits die zweite Ebene des ZGV-Modells (sie verfügen über ein einfaches Zahlverständnis) erreicht, andere dagegen haben erst die erste Ebene der Basisfertigkeiten (ZGV-Modell) vom Aufbau des Zahlbegriffs zum grössten Teil verstanden und automatisiert.

Für diese Kinder bedeutet dies, dass sie kleinere Mengen bis 5 ohne zu zählen erfassen (Würfelbild), Mengen vergleichen (was mehr Platz einnimmt = mehr) und die Zahlwortreihe (bis 20) wie ein Gedicht aufsagen können. Ist dies der Fall, geht es für diese Kinder nun darum ebenfalls die zweite Ebene zu erreichen und damit die Zahlwörter mit Mengen zu verbinden. Kinder die Rechenschwierigkeiten entwickeln, scheitern oft genau an diesem Punkt. Für sie haben die Zahlwörter keinen Inhalt und bleiben damit abstrakt. Um diese Problematik für uns etwas zu verdeutlichen, stellst du dir folgende Situation vor:

 

Du  lernst in einer "neuen" Sprache die Zahlen. Die Zahlen bis 10 lauten dabei wie folgt:

 

roll - brett - ko - sa - mui - li - la - le - po - pi

 

Versuche dir nun die Reihenfolge zu merken und löse anschliessend folgende Aufgaben ohne dabei oben nachzuschauen:

 

Welche Zahl kommt vor mui?

Wie viel gibt po+sa?

Ist la grösser oder kleiner als sa?

Zähle weiter: mui ... ...

 

Das war gar nicht so einfach oder auch schlicht unlösbar? Genau so geht es den Kinder, die den Ordinalaspekt (Reihenfolge der Zahlen) zwar wie ein Sprüchli aufsagen können, diese aber noch nicht (oder nur für einige Zahlen - z.B. bis 5 bzw. 6) mit dem Kardinalaspekt (Menge) verbunden haben. Genau hier kommt nun das Zählen und Abzählen zum Tragen. In den ersten Wochen der 1. - aber auch der 2. Klasse ist es wichtig, dass die Kinder immer wieder Gelegenheit erhalten Sachen zu Zählen, Mengen zu bestimmen, Mengen zu vergleichen, zu ordnen, zuzuordnen, zu erkennen, zu ertasten usw. (Ideen für den Unterricht findest du unter der Rubrik "Rechnen") aber auch die Möglichkeit sich miteinander auszutauschen und neue Erkenntnisse zu erlangen! Nur so können sie die Zählentwicklung vollständig abschliessen (von jeder Zahl im 20er- bzw. 100er-Raum problemlos vor- und rückwärtszählen), die Zahl mit der Menge verbinden und damit ebenfalls die zweite Ebene des ZGV-Modells erreichen.

In der dritten Ebene schliesslich, geht es für die Kinder nun um ein tiefes Zahlverständnis. Das bedeutet, dass sie die Zahlwörter und Ziffern mit ihrer Grössenrelation verknüpfen können. Sie verstehen am Ende, dass Zahlen in bestimmte Anzahlen zerlegt werden können (5 Plättchen = 2 Plättchen + 3 Plättchen), dass es zwischen zwei Zahlen bestimmte Differenzen gibt (6 ist 2 mehr als 4) und dass Zahlen in einer Beziehung zueinander stehen (7 kommt nach 5 also ist 5 weniger als 7).

 

Was bedeutet dies nun für unsere Praxis? Es scheint klar, dass wir von Kindern nicht Elemente der 3. Ebene verlangen können, wenn sie selber erst knapp die 1. Ebene abgeschlossen haben. Sollen Kinder also das Zerlegen von Zahlen (z.B. im Zahlenhaus) automatisieren und üben, müssen sie zuerst verstanden haben, dass Zahlen einen Inhalt (Menge) haben und diese auch noch beliebig zerlegt werden kann. Erst recht erscheint uns dies unumgänglich, wenn die Kinder als erste Operation das Plusrechnen und damit verbunden auch gleich das Ergänzen lernen sollen. Zur Verdeutlichung hier nochmals eine Rechnung mit der neuen Zahlsprache: mui+po=? Als kleiner Tipp: Es ist eine Rechung die über den Zehner geht, du könntest dir also überlegen, wie viel von mui noch fehlt bis pi, diese Menge dann bei po abziehen und den Rest einfach noch dazurechnen!

Du merkst, es ist wichtig, dass wir bei den Kindern wissen, auf welcher Ebene sie sind und ihnen die Zeit und Gelegenheit geben, diese vollständig zu erreichen und damit abzuschliessen. Kinder die nie alle drei Ebenen erreicht haben, werden bis ins Erwachsenenalter Schwierigkeiten mit dem Rechnen haben - oder könntest du brett(sa x ko) - (li + brett)=? aus dem Ärmel schütteln :-)?

Quelle: Schrer/Opitz(2010): Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe.Spektrum